Mit solch einem Besuch hätte Museumsleiterin Cornelia König vor zwei Monaten wohl nicht gerechnet, als sie zusammen mit Fotograf Gerhard Weber die Ausstellung „Aktfotografie in der DDR“ eröffnete. Denn am vergangenen Samstag, einen Tag vor der Finissage der Ausstellung, waren 15 nackte Männer zu Besuch im Stadt- und Kulturgeschichtlichen Museum Torgau und sahen sich mit Begeisterung die ausgestellten Fotografien an. Die locker zusammengesetzte Gruppe bestand aus so genannten Naturisten, die aus ganz Deutschland angereist waren, um die Ausstellung in Torgau zu besuchen.
Faszination Nacktheit
Am einfachsten erklären lässt sich der Naturismus über den Vergleich mit dem deutlich bekannteren Nudismus. Während Nudisten sich ausziehen, weil sie von der Nacktheit als solche fasziniert sind, wollen die Naturisten sich durch das Ablegen der Kleidung näher mit der Natur verbunden fühlen.
„Die Faszination des Naturismus ist für uns der Einklang mit der Natur, in den wir uns begeben“, beschreibt Horst Jerina, der den Ausflug nach Torgau organisiert hatte. „Wir sind alle nackt geboren und wenn wir uns so in die Natur begeben, dann können wir über unsere Haut ganz viele Umwelteinflüsse wahrnehmen. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, was man da erlebt.“
Der 68-jährige Mühlhausener ist seit über 15 Jahren Naturist und verbringt fast die Hälfte seiner Freizeit ohne Kleidung. Zuhause ist er fast immer nackt, in der Öffentlichkeit beschränkt es sich auf Ausflüge in die Natur oder eben Ausstellungsbesuche wie den in Torgau. „Wir nehmen Rücksicht auf unsere Mitmenschen“, erklärt er und fügt hinzu, dass er jedoch kein Geheimnis aus seinem Bekenntnis zum Naturismus mache.
Das Sexuelle im Hintergrund
„Sobald man ein Geheimnis daraus macht, erhält es eine gewisse anrüchige Komponente. Und das wollen wir auf jeden Fall vermeiden.“ Denn die Sexualität, die im allgemeinen Verständnis immer mit Nacktheit in Verbindung gebracht wird, spielt bei den Naturisten nur eine untergeordnete Rolle. Und auch optische Besonderheiten oder Makel, wie etwa ein dicker Bauch oder eine große Narbe, treten in den Hintergrund. „Man akzeptiert sich und seine Mitmenschen so wie sie sind,“ sagt Horst Jerina.
Und trotzdem ist es für die meisten Menschen, die in die Naturismus-Bewegung eintreten, ein schwieriger Sprung über die eigene Schamgrenze. Sich in der Öffentlichkeit nackt zu präsentieren braucht Überwindung, die viele Leute nur schwer aufbringen können. Auch Horst Jerina erinnert sich daran, dass es für ihn nicht einfach war, sich darauf einzulassen. „Wir werden schon von Kindesbeinen darauf konditioniert, dass Nacktheit auch immer etwas Sexuelles mit sich bringt. Sobald man sich aber von diesem Gedanken trennt und sich darauf einlässt, dann geht das Nacktsein auch ohne Probleme.“
Strafbar ist es nicht
Doch auch wenn man selbst keinerlei Probleme damit hat, sich in der Öffentlichkeit nackt zu zeigen, trifft das auf die Mitmenschen nicht in immer zu. Die Rücksichtnahme wird zwar bei Horst Jerina und den anderen Naturisten groß geschrieben, es komme aber trotzdem immer wieder vor, dass zum Beispiel bei Wanderungen im Wald entgegenkommende Wanderer empört die Polizei rufen. „Wir legen den Ordnungshütern dann unsere Sichtweise dar und meistens sind die dann auch verständnisvoll.“ Denn strafbar, das betont der 68-Jährige, machen sich die Naturisten nicht. „Das in solchen Fällen häufig vorgebrachte ,Erregen öffentlichen Ärgernisses’ aus dem Strafgesetzbuch kommt bei uns nicht zum Tragen, da es immer die sexuelle Handlung beinhaltet, die wir ja nicht vollziehen.“
Übers Internet gefunden
Zusammengefunden haben sich die 15 Männer, die am Samstag im Torgauer Museum zu Besuch waren, über das Internet. Horst Jerina war durch Zufall auf die Ausstellung von Gerhard Weber gestoßen und hatte in einem Forum nach Begleitern gesucht. Schnell hatten sich diese gefunden und bei Cornelia König im Museum angemeldet. Die freute sich über den ungewöhnlichen Besuch und hat auch im Nachhinein nur gutes über die Naturisten zu erzählen. „Es war nicht, wie man das im ersten Moment vielleicht denken würde, irgendwie schlüpfrig oder unangenehm. Es war ein netter Besuch und ich konnte viele interessante Gespräche führen.“
Mit dem Besuch der Gruppe fügt sich das Stadt- und Kulturgeschichtliche Museum in einer Reihe großer Museen wie dem Leopold-Museum in Wien, dem LWL-Museum in Münster, Museen in Luxemburg oder der Kunsthalle in Rotterdam ein. Im letztgenannten Museum treffen sich jährlich einmal hunderte Naturisten, um die Kunsthalle nackt zu erleben. Und auch Torgau, das hat die Gruppe bereits freudig bekannt gegeben, wollen sie in Zukunft gern noch einmal einen Besuch abstatten.