Torgau/Tokio/Stuttgart (TZ/US). Neben der Städtepartnerschaft gab es zu Beginn meines Vertrages zwei Deutschkurse, die nach 2-3 Jahren auf fünf Kurse in verschiedenen Niveaus anwuchsen. Meine „Schüler”, Erwachsene im Alter von 25 bis 75, kamen regelmäßig, waren sehr, sehr ehrgeizig und erledigten Hausaufgaben fleißig. Auch gehörte ein wöchentlicher Englischkurs die ersten drei Jahre zu meinem Arbeitsinhalt.
In den Sprachkursen herrscht eine lockere und entspannte Atmosphäre. Freundschaften bzw. Netzwerke unter den Teilnehmern sind ein schöner Nebeneffekt. Bei Weihnachtsfeiern aller Sprachkurse zum Beispiel haben sich alle so richtig ins Zeug gelegt und mit selbstgemachten Köstlichkeiten, Weihnachtsliedern und fröhlichem Beisammensein war dies eine gelungene und wertvolle Sache. Am besten gefiel mir allerdings, dass ich mein Hobby zu einem Teil meiner Arbeit machen konnte, denn in regelmäßigen Abständen schrieb ich Aerobic-Kurse für die Mitbürger aus.
Ein- bis zweimal im Monat standen auch Kindergarten-, Grundschul- und Mittelschulbesuche auf dem Programm. An Schulen waren Vorträge über Deutschland im Allgemeinen gefragt. Je nach Alter standen Themen wie Schulsystem bzw. wie sieht ein Schultag eines Grundschülers in Deutschland aus, Umweltproblematik (Mülltrennung und Recycling) oder Deutsche Küche auf dem Programm.
Mein eigenes monatliches Event “Uli-san no sekai no tabi” (Ulis Weltreise) ist zu einem gut besuchten Bestandteil meiner Arbeit geworden. Hierzu habe ich eine/n weitere/n Nichtjapaner/in eingeladen, die ihr bzw. sein Land, (Ess-)Kultur und Traditionen vorstellt. Dies geschah über ein einfach herzustellendes Hausrezept, welches wir dann in Gruppen gemeinsam kochten und dann natürlich auch gemeinsam genossen. Diese Veranstaltung war zu einer beliebten Wochenend-Aktivität für die ganze Familie geworden.
Während zwei Sonderausgaben erlebten die Bürger meiner Stadt, wie in Deutschland so richtig gefeiert wird. Meine Freundinnen aus Deutschland, mit denen ich einige Jahre in unserem heimischen Faschingsverein als Funkengarde tanzte, besuchten mich und die Idee einer deutschen Karnevalsparty war geboren. Die Mädels brachten originale Faschingskostüme incl. Hut und Stiefel, selbstchoreografierte Tänze und Überraschungen mit, und rund 100 Gäste erfreuten sich an einem in meiner Stadt noch nicht dagewesenen Event (TZ berichtete dazumal).
Um solche Veranstaltungen zu realisieren, ist das Netzwerk, welches man sich im Laufe der Zeit zusammenstrickt, sehr, sehr hilfreich und unbedingt notwendig. Und dies funktioniert nur aufgrund der Begeisterungsfähigkeit der Menschen um mich herum. Es war immer wieder erstaunlich, wie einfach, schnell, doch vor allem nachhaltig die Menschen zu begeistern, zu beeindrucken und mit welchem Engagement sie bei der Sache waren. Egal, welches Fest gerade stattfand, welche Veranstaltung organisiert werden musste, Helfer, die mich unterstützten waren sofort zur Stelle, ohne, dass ich lange darum bitten musste. Gerade dieses soziale Engagement ist eine sehr schätzenswerte Sache, die sowohl die Arbeit als auch das Leben zu einer ganz besonderen Erfahrung machten.
Mindestens genauso begeistert wie die Bürger meiner Wahlheimat waren meine Gäste von Japan und seinen Bewohnern und machten sich das Jahr darauf ein zweites Mal auf den Weg nach Fernost, und wir realisierten eine Deutsche Grill-Party mit Würstchen, Sauerkraut, Kartoffelbrei, deutschem Bier, Partyspielen und Polonaise. Schon seit dem Karneval ist die Polonaise zu einem festen Programmteil bei Abendveranstaltungen geworden, auf denen zum Ende noch einmal Stimmung mit einer solchen Menschenkette über Tische und Bänke gemacht wird und alle nach draußen verabschiedet werden…doch keiner wollte gehen!(Teil 4 folgt)